Lesekrise
Lesekrise, Foto: pixabay

Immer weniger junge Männer greifen in ihrer Freizeit zu einem Buch. Diese Entwicklung hat nicht nur kulturelle, sondern auch politische Folgen. Während Frauen durch Genres wie „Dark Romance“ literarisch abgeholt werden, klafft im Angebot für Männer eine immer größere Lücke. Literatur für junge Männer verschwindet zunehmend aus dem öffentlichen Raum, was gesellschaftliche Spannungen verschärfen kann.

Inhaltsverzeichnis:

Nils Schniederjann kritisiert fehlende Bücher für Männer

Der Journalist Nils Schniederjann stellte Ende März im Deutschlandfunk fest, dass es kaum noch Bücher gibt, die sich gezielt an junge Männer richten. Früher wurden sie mit Werken von Autoren wie Wolfgang Herrndorf, Bret Easton Ellis oder Philip Roth angesprochen. Diese Bücher thematisierten Männlichkeit, Identität und Rebellion – Aspekte, die heute in der literarischen Landschaft kaum noch vorkommen. Schniederjann sieht in diesem Mangel ein kulturelles Vakuum, das von anderen Medienformen gefüllt wird.

Viele junge Männer wenden sich stattdessen Podcasts, sozialen Medien oder Streaming-Plattformen zu. Dort finden sie Identifikationsfiguren, allerdings nicht im literarischen, sondern im digitalen Raum. Diese Inhalte stammen häufig aus politischen Randbereichen, was zu einer Radikalisierung beitragen kann. Besonders deutlich wird dies in Wahlverhalten und gesellschaftlicher Orientierung. Während junge Frauen eher linke Parteien unterstützen, zeigt sich bei jungen Männern eine stärkere Neigung zur Rechten.

Felix Stephan lehnt gezielte Männerliteratur ab

In der Süddeutschen Zeitung äußerte sich auch der Kulturjournalist Felix Stephan zur Debatte. Er sprach sich klar gegen spezielle Literaturangebote für Männer aus. Nach seiner Ansicht war Lesen in der Geschichte für Männer stets ein Mittel zur Machtaneignung. Heute sei beruflicher Erfolg auch ohne literarische Bildung möglich. Daher brauche es keine Bücher, die speziell für Männer geschrieben sind.

Diese Haltung stößt jedoch auf Kritik. Denn Literatur erfüllt nicht nur einen Bildungszweck, sondern auch einen gesellschaftlichen. Romane spiegeln Lebensrealitäten, bieten Alternativen und helfen, die Welt zu verstehen. In einer Zeit, in der Männlichkeitsbilder schwanken, wäre es umso wichtiger, jungen Männern literarische Angebote zu machen, die ihre Erfahrungen ernst nehmen.

Beispiele aus der Vergangenheit zeigen Wirkungskraft

In der Vergangenheit existierten zahlreiche Buchreihen und Genres, die gezielt junge Männer ansprachen. Abenteuerromane von Karl May, Science-Fiction der 50er-Jahre oder die James-Bond-Reihe waren populär und prägten Generationen. Diese Werke waren selten große Kunst, aber sie erreichten ihr Publikum. Sie behandelten den Zeitgeist – wie den Kalten Krieg – und boten einfache Heldenfiguren wie Cowboys, Spione oder Krieger.

Heute fehlen vergleichbare Figuren. Stattdessen füllen rechte Politiker und Influencer diese Lücke. Die Literatur hat sich zurückgezogen – und mit ihr die differenzierte Darstellung männlicher Lebenswelten. Dabei könnten Geschichten über Männer, die zwischen Sensibilität und Stärke schwanken, einen neuen Zugang bieten. Auch banale Themen wie das Aufwachsen während der Pandemie oder Wehrdienst in Osteuropa könnten relevant sein.

Der Markt für junge Männer schrumpft rapide

Ein Blick in Buchhandlungen zeigt: Männer kaufen weniger Bücher als Frauen. Das liegt auch daran, dass es kaum Inhalte gibt, die sich speziell an sie richten. Frauen werden mit Genres wie „Dark Romance“ direkt angesprochen. Dort geht es häufig um Machtfantasien, Dominanz und Begehren – alles Themen, die offenbar gesellschaftliche Relevanz besitzen, auch wenn sie trivial erscheinen.

Für Männer fehlt ein solches Angebot. Die Branche argumentiert mit fehlender Nachfrage, doch dies ist ein Teufelskreis: Ohne Angebot gibt es keine Nachfrage – und umgekehrt. Literatur, die gesellschaftlich eingebunden ist, muss sich an alle Gruppen richten. Männer dürfen dabei nicht ausgeschlossen werden. Denn wenn nur rechte Bewegungen Geschichten über junge Männer erzählen, wird die kulturelle Mitte geschwächt.

Was Literatur leisten könnte

Es braucht neue Romane, die sich ehrlich mit der Gegenwart junger Männer auseinandersetzen. Dabei geht es nicht um idealisierte Helden oder moralische Belehrung, sondern um nachvollziehbare Figuren und Lebensläufe. Coming-of-Age-Erzählungen, politische Konflikte oder auch erotische Fantasien sollten in der Literatur ihren Platz haben – auch aus männlicher Perspektive. Literatur kann:

  • komplexe Rollenbilder beleuchten
  • emotionale Innenwelten zeigen
  • Orientierung stiften
  • Reibungspunkte gesellschaftlich verarbeiten

Ohne diese Erzählungen bleibt jungen Männern nur das Internet – ein Ort, an dem extreme Inhalte schnell die Oberhand gewinnen.

Die Sehnsucht junger Männer nach Identifikation ist real. Die Literaturbranche muss darauf reagieren. Andernfalls bestimmen Influencer und politische Ränder das Bild junger Männlichkeit – mit unkalkulierbaren Folgen.

Quelle: Berliner Zeitung