Eine neue Ausstellung im Kunstverein Ost zeigt Arbeiten der polnischen Künstlerin Aneta Grzeszykowska, die sich mit dem menschlichen Körper, Erinnerung und Selbstwahrnehmung auseinandersetzen. Besucher begegnen lebensgroßen Puppen, leeren Fotoflächen und ungewöhnlichen Materialien. Die Schau trägt den Titel „Einstellungen zur Privatsphäre“ und wurde von Nathalie Hoyos und Rainald Schumacher kuratiert.
Inhaltsverzeichnis:
- Puppe Franciszka im Jahr 2027
- Gelöschte Spuren im Familienalbum
- Schweinehaut und Identitätswechsel
- Anwesenheit und Abwesenheit als künstlerisches Prinzip
Puppe Franciszka im Jahr 2027
Im Zentrum der Ausstellung liegt eine lebensgroße Figur, die Grzeszykowskas Tochter Franciszka darstellen soll – im Jahr 2027. Die Skulptur besteht aus Wolle und wirkt sowohl vertraut als auch befremdlich. Dieser Blick in die Zukunft dient nicht der konkreten Vorhersage. Vielmehr nutzt Grzeszykowska symbolische Mittel, um Fragen zur Zeitlichkeit und Körperlichkeit aufzuwerfen. Die Künstlerin wurde 1974 in Warschau geboren und ist heute in internationalen Museen wie dem Guggenheim und dem Centre Pompidou vertreten.
Gelöschte Spuren im Familienalbum
Im Eingangsbereich liegt ein unscheinbares Fotobuch. Wer genauer hinschaut, entdeckt gezielte Auslassungen. Auf einem Bild hält ein Mann eine Lampe in der Hand – der andere Arm ist leer. Ursprünglich hielt er dort seine Tochter. Diese wurde jedoch digital entfernt.
Die Werkgruppe „Album“, die Grzeszykowska 2006 begann, wird hier fortgeführt. Damals entfernte sie sich selbst aus Archivbildern ihrer Kindheit. Die Bearbeitung erfolgte mit Photoshop. Die Künstlerin nennt das Ergebnis eine „Lebensgeschichte ohne Hauptfigur“. Es geht nicht um Nostalgie, sondern um das Auslöschen persönlicher Spuren als künstlerisches Mittel. Historische Bezüge wie die Bildmanipulation in der frühen Sowjetunion bleiben dabei implizit.
Schweinehaut und Identitätswechsel
Besonders auffällig ist die Verwendung ungewöhnlicher Materialien wie Schweinehaut zur Darstellung des menschlichen Körpers. Grzeszykowska schafft daraus Masken und Silhouetten, die in großformatigen Rahmen hängen oder auf Puppen gespannt sind. Die Kombination von tierischer Haut und menschlicher Form erzeugt Spannung und Irritation.
Die Künstlerin greift auch bekannte Werke auf. In „Untitled Film Stills“ reinszeniert sie die gleichnamige Serie von Cindy Sherman, die in den 1970er Jahren entstand. Sherman stellte sich in Rollen typischer Filmfiguren dar. Grzeszykowska übernimmt diese Posen, allerdings in Warschau statt in New York. Damit verweist sie auf kulturelle Unterschiede und bleibt doch im Dialog mit der Vorlage.
Anwesenheit und Abwesenheit als künstlerisches Prinzip
Grzeszykowska arbeitet mit dem Wechselspiel von Sichtbarkeit und Löschung. Ihre Kunst ist geprägt von Distanz – zur Familie, zum eigenen Körper, zur Identität. In ihren Werken tritt das Individuum zurück, während die Form bleibt. Diese Praxis macht sie zu einer wichtigen Position innerhalb der zeitgenössischen Kunst.
Die Ausstellung im Kunstverein Ost zeigt ein konsequentes Werk. Es geht um das Verhältnis zwischen Realität und Inszenierung, um das Verschwinden von Personen und die Konstruktion von Bedeutung. Puppen, Masken und Fotografien schaffen eine stille, aber eindringliche Atmosphäre. Die Werke öffnen Raum für Fragen nach dem Selbst – ohne sie direkt zu beantworten.
Quelle: Tagesspiegel